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Zum Gedenken an Alfred Rasser

Als Kabarett noch
Wirkung zeigte
Zum hundertsten Geburtstag von Alfred Rasser
Tages Anzeiger 24.05.07
Das im Jahre 1969 erschienene Zivilverteidigungsbüchlein in dem Feinde des Schweizerlandes als Maulwürfe oder maskierte Teufel dargestellt waren, das bei Atomschlägen dazu riet, sich auf den Boden zu werfen, Handschuhe, Halstuch und Mantel anzuziehen, spaltete sogar den Schriftstellerverein, weil dessen Präsident an diesem Machwerk mitgearbeitet hatte. Alfred Rasser hingegen, reagierte auf seine Art: Mit seinem «Läppli» gab er dieses braunrote, vom Bund herausgegebene Büchlein, der Lächerlichkeit preis. «Jetzt isch das Biechli druckt und verteilt, jetzt wird gschosse!»
Die Proben zum abendfüllenden Stück «Zivilverteidiger Läppli» fanden in einem Zivilschutzkeller statt. Das Ensemble bestand aus Basler Lokalgrössen, Schauspielern aus dem Grabowsky-Fundus und einigen Zugewandten, zu denen ich gehörte.
Einen Tag vor der Uraufführung, die am 30. Dezember 1969 in Basel stattfand, sagte Alfred Rasser zu uns: «I ha do sone Klemme in der Bruscht, i glaub mi butztz no vor de Premiere». Was zum Glück nicht eintraf.
Vor dem ersten Auftritt stand ich mit ihm in einer Gasse und wir warteten, dass der Vorhang aufging. «Spucke se mer no über die rächti Schultere!» Ich zögerte erst, weil nach theaterinterner Überlieferung das Spucken über die rechte Schulter Unglück bringt. Er bestand aber darauf und ich spuckte ihm also auch noch über die rechte Schulter. Dass er solch regelwidriges Verhalten von mir forderte, erstaunte mich. Als einmal ein unerfahrenes Ensemblemitglied ein Sandwich auf der Bühne verzehrte, wurde es von Rasser barsch zurechtgewiesen: «Aesse und pfiffe uf der Bühni isch verbote, ussert an dr Fasnacht.» Er sei aber in keinster Weise besonders pingelig, da gäbe es weit schlimmere. Ein bekannter, Basler Kabarettkollege sei einmal ein Tag nach «den schönschte Dääg» aufgetreten. Vor der Vorstellung habe dieser die Bühne inspiziert und vorne an der Rampe ein Konfetti gefunden. Dieses habe er aufgehoben und gefragt: «Wer het das do anegleggt?»
Überhaupt in der Vergabe von Sympathien war Rasser rigoros. Wenn er jemanden nicht mochte, weil er dessen politische Undifferen-ziertheit verachtete oder an schauspielerischen Qualitäten zweifelte, war er unbarmherzig. So sagte er einmal zu einer bekannten Grabowskykoryphäe: «Wüsse Sie was? Sie sin gar kei Schauspieler, wenn Sie uf dr Bühni rede, so hört mer nur hsch, hsch, hsch!»
Weil ich während und nach den 68er Unruhen Strassentheater gemacht hatte, war ich für ihn mit der richtigen Weltanschauung ausgestattet: Mich mochte er. Einmal kam er zu mir in die Garderobe, die Läpplihaare schon eingefärbt, bereits im Kostüm; einzig der Schnauz fehlte noch. Mastix hatte er schon über der Oberlippe hingepinselt und musste nun einige Minuten warten, bis der Klebestoff anzog. «D Chinese kömme», sagte er, halb besorgt, halb erfreut. Er musste es ja wissen, war er doch 1954 mit Nationalrats- und Künstlerkollegen in China gewesen. In der allgemeinen Hysterie des kalten Krieges wurde er darauf von fast allen Theaterveranstaltern lange Zeit boykottiert. Dass sein Ausspruch fast 40 Jahre später, unter ganz andern Vorzeichen, in Erfüllung gehen würde, hatte er wohl kaum geahnt. Die fatalen Folgen des Molochs Strassenverkehr jedoch, sind genauso eingetroffen, wie er in seiner Nummer «Hopp Schwyz» schon in den sechziger Jahren besungen hatte.
Ein Schauspieler des Ensembles hatte den Dienst verweigert. Als die verrückte Idee aufkam, dass Läppli ihn vor Gericht verteidigen könnte, war Alfred Rasser zuerst begeistert von der Idee. Grabowsky, der Produzent des «Zivilverteidiger» intervenierte jedoch vehement. «Wenn du das machst, kommt nachher niemand mehr ins Theater; der «Läppli» kann doch keinen Dienstverweigerer verteidigen». Auch seine Frau war strikte dagegen, also verzichtete er auf das Mandat. Als er nach zwei Jahren den «HD- Läppli» wieder aufnahm, um die tausendste Vorstellungen voll zu machen -900 Mal hatte er ihn schon 1945 gespielt-  lief das irgendwann nicht mehr so besonders. Daraufhin sagte Grabowsky zu Rasser: «Wer weiss, villicht hettsch die Verteidigung glich selle mache, dr Skandal hett sich villicht positiv ussgwürkt!» Positiv waren jedenfalls die Reaktionen auf den «Zivilverteidiger Läppli», er wurde begeistert aufgenommen und selbst Besucher in einer Mehrzweckhalle irgendwo auf dem Lande, waren sich nach der Vorstellung einig, dass dieses braune Büchlein, das ja in alle Haushaltungen verschickt worden war, ein höchst fragwürdiges Elaborat sei. «Läpplis» Botschaft, also Alfred Rassers Schwejkiade war angekommen.

Alfred Rasser wäre am 29. Mai 2007 100 Jahre alt geworden.

 
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