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Zürcher Kultur (ku)

Ein Idyll mit Abgründen

Hans Suters Jugenderinnerungen

Sibylle Saxer

Das jüngste Buch des Theatermanns, Satirikers und Krimiautors Hans Suter ist ein Erinnerungs-buch. «Unten am See» schildert «Episoden einer Jugend», wie es im Untertitel heisst. Im Zentrum stehen die beiden Knaben Franz – unschwer als Hans Suter erkennbar – und sein Freund Bruno. Schauplatz ist die beschauliche Seegemeinde Rüschlikon in den 1950er Jahren.

Zweiklassengesellschaft

Franz und Bruno wohnen beide unten am See, im Unterdorf. Beide sind oft sich selbst überlassen: Der Vater von Franz, eigentlich ein begnadeter Schreiner, ist dem Alkohol verfallen, seine Mutter muss in der Kilchberger Schokoladefabrik arbeiten, damit die Familie über die Runden kommt. Brunos Mutter ist alleinerziehend. Ihre freie Zeit verbringen Franz und Bruno vorwiegend am See, meistens fischend. Oft ziehen sie sich auch in ihre Hütte zurück, die sie in der Nähe des Dutti-Parks gebaut haben, zählen Autos oder füttern Krähen mit in Alkohol getränkten Brotstücken und vergnügen sich an den benommenen Vögeln.

Ein Kontrapunkt zu diesen unspektakulären Szenen sind die Beobachtungen, die sie austauschen. Dass etwa die Frau des blinden Lehrers die Unterdorf-Kinder einmal mehr schikaniert und die Akademikersöhne aus dem Oberdorf bevorzugt, auch wenn deren schulische Leistungen zu wünschen übrig lassen. Welche Frau wieder ungebührlich lange in der Werkstatt des Schuhmachers verschwunden ist oder ein blaues Auge hat. Immer klarer zeichnet sich ab, dass sich unter der harmlos idyllischen Oberfläche eine eigentliche Zweiklassengesellschaft verbirgt: Die einfacheren Leute leben unten am See, die besseren Quartiere oben am Hang sind der Oberschicht vorbehalten.

Der Text widerspiegelt diese Zweiteilung: Hinter dem ruhigen Erzählton und der schnörkellosen Sprache eröffnen sich unvermittelt Abgründe, etwa wenn ein Mönch, der beim Diakonieheim lebt, die beiden Knaben zu unzüchtigen Handlungen auffordert. Schonungslos zeigt «Unten am See» die gelebte Doppelmoral auf, ganz ohne, und das macht die Qualität der Episoden aus, moralisierenden Zeigefinger.

Lebensnahe Gespräche

Denn obwohl die Erzählung einen zeitlichen Sprung von mehreren Jahren macht und nach zwei Dritteln des Buches gezeigt wird, was aus den Knaben geworden ist, wird die Sicht der zwar keineswegs naiven, nie aber anklagenden Jugendlichen beibehalten. Das gelingt insbesondere in Franz' und Brunos lebensnahen Gesprächen, die ohne ein Wort zu viel auskommen – und natürlich sowohl die Bühnenerfahrung Suters als auch sein Gespür für Pointen verraten.

© Neue Zürcher Zeitung; 06.06.2015; Ausgabe-Nr. 128; Seite 21
 

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