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Stehpinkler
Der letzte Stehpinkler ist tot. Gestern ist Hugo K. im Alter von erst 38 Jahren auf tragische Weise ums Leben gekommen. Die genaue Todesursache ist bis anhin noch nicht bekannt. Er war einer der Wenigen, wenn nicht gar der Letzte, der sich geweigert hatte, beim Wasserlösen auf die Klobrille zu sitzen. Die traurige Ironie will, dass ihm ausgerechnet diese Verweigerung zum Verhängnis wurde. Hätte er sein Geschäft sitzenderweise erledigt, wäre er vermutlich nicht gestürzt; Blutdruckabfall bei Stehpinklern ist ein bekanntes Phänomen. Das ist nicht der einzige Fall dieser Art, schon oft ist es vorgekommen, dass militante Stehpinkler bei der Entleerung ihrer Blase ohnmächtig geworden und gestürzt sind. Die sind später jedoch fast alle überzeugte Sitzpinkler geworden. Fest steht, dass Hugo K. lange Zeit «Hauswandmarkierer» genannt, mit einer Platzwunde am Hals, auf der Herrentoilette, in seinem Blute liegend, aufgefunden wurde. Eine Putzequipe fand den toten Hugo morgens um fünf. Die Türe der Toilette war noch von innen geschlossen gewesen und musste aufgebrochen werden. Der sofort benachrichtigte Arzt, konnte nur noch den Tod feststellen. Den Blutspuren nach zu schliessen, hatte der Verletzte versucht die Türe von innen zu öffnen, was ihm aber leider nicht gelang. Als Einzelkind einer Sozialpädagogin und eines Lokalpolitikers aufgewachsen, fiel Hugo schon als Kind durch sein eigenwilliges Verhalten auf. Seine Mutter hatte darauf bestanden, dass sein Vater, also ihr Mann, sitzenderweise Wasser zu lösen habe, was er aber immer wieder heimlich verweigerte. Sie drohte ihm gar mit Sexverweigerung, sollte sie ihn jemals wieder beim Stehpinkeln erwischen. Es war jedoch schwierig, die Verrichtung dieses Geschäftes genau unter Kontrolle zu halten und Hugo, der selbstverständlich von Kindsbeinen an zum Sitzpinkeln angewiesen wurde, konnte öfters beobachten, wie sein Vater stehenderweise pisste. Der innere Konflikt dem Hugo dadurch ausgesetzt war, führte zu einem Druck, der nach Entladung drängte. Wenn die Mutter nicht zuhause war, stand er manchmal auf einen Schemel und urinierte heimlich ins Lavabo oder er ging in den Garten und pisste in die Wiese, dabei drehte er sich im Kreise und freute sich über den sich durch die Fliehkraft biegenden Wasserstrahl. Einmal hatte er sich aber verraten, weil er mitten im Winter in den Schnee pisste und so gefrorene Spuren hinterliess. Zur Strafe musste er sich draussen auf einen Nachttopf setzen und so seine Notdurft verrichten. Aus Wut schleuderte er dann den Topf samt Inhalt an die Hausfassade, was deutliche Spuren hinterliess, weil er Tags zuvor Randensalat gegessen hatte. Ein Schlüsselerlebnis, was seine weitere Laufbahn weit gehend bestimmen sollte. In späteren Jahren wurde nach einer Urnenabstimmung das Stehpinkeln schweizweit verboten und alle Urinoirs abmontiert. In einzelnen Kantonen waren kleine Stehpinkler- Kabinen noch erlaubt, zum Beispiel im Kanton Zürich oder Solothurn, was dazu führte, dass der halbe Kanton Aargau sich in Dietikon oder Schönenwerd und andern Orten an der Kantonsgrenze stehenderweise ihr Wasser abschlugen. Geheime Stehpinklerpartys fanden in ausserbetrieblichen aber noch bestehenden Pissoirs statt. Diesem illegalen Treiben wurde aber mit unangemeldeten Polizeirazzien ein abruptes Ende gesetzt. Hugo indessen, kein Party- sondern eher ein einsamer Wolf, versuchte dem Sitzpinklerzwang seine Kreativität entgegen zu setzen. Er trank viele verschieden farbige natürliche Farbstoffe, wie eben Randen und bescherte uns mit dem Abschlagen des Wassers Bilder von betörender Schönheit. Wie wir alle wissen, erreichen seine Stehpinkleraquarelle an Hausfassaden auf dem Kunstmarkt Höchstpreise. Im Angedenken an den lieben Verstorbenen findet am 15. November an einem noch bekannt zu gebenden Orte eine Stehpinklerparty statt. Ciao Hugo, Gott sei deinem Gemächte gnädig! @Hans Suter

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