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Im Zug
Wenn Hugo morgens zum Zug spurtet, zweimal knapp einen Zusammenstoss mit einem aufs Smartphone statt auf die Umwelt Achtenden durch abruptes Ausweichen verhindern kann, dann beim Zug anlangt, auf die Bahnhofsuhr schaut, um festzustellen, dass er wieder einmal unnötig gehastet ist, da der Zug erst in drei Minuten abfährt, zündet er sich eine Zigarette an, nimmt dann drei, vier Züge und wenn die Bahnhofsuhr 30 Sekunden vor der Abfahrtszeit angekommen ist, nimmt er noch einen letzten Zug, um dann in den andern einzusteigen. Drin im Waggon findet er gerade noch einen Platz neben einem Laptop, dessen Bediener Hugo zwischen schwarzen Ohrenklappen wie ein fremdes Wesen anstarrt, ohne ihn eigentlich wahrzunehmen. Dann fährt der Zug ab. Hugo faltet seine Zeitung auseinander, empört betrachtet von einem jungen Mann, der sich durch das Geraschel der Tageszeitung beim Surfen am Smartphone gestört fühlt. Aber eigentlich fühlt er sich nicht beim Surfen gestört, sondern der böse Blick sollte wohl heissen: Bitte Ruhe, ich muss gleich telefonieren oder ich will ein Spieli machen, bei dem ich das Gequietsche, das das Spiel begleitet, richtig hören und interpretieren kann. Er tut beides gleichzeitig, misstrauisch auf Hugos Zeitungsblätterbewegung achtend und einige Male vernichtende Blicke zum Leser schiessend. Im Abteil gegenüber gibt ein weiteres Smartphone Laut und zwar schrillt es wie ein Festnetzanschluss aus den sechziger Jahren. Der Nachbar mit dem Laptop ist aufgestanden, um den Stecker in die Steckdose, die über Hugos Kopf angebracht ist, zu applizieren. Hugo hat aber dort seine Jacke aufgehängt, was dem Laptopmenschen das Applizieren des Steckers erschwert. Er schiebt das Kleidungsstück beiseite, wobei der Aufhänger an der Jacke reisst, diese auf Hugos Schoss fällt und das Kabel auf Hugos Kopf. Er steht auf, stupst den Läpptöppler an und macht eine Geste, die besagen soll: Sitzen Sie an den Fensterplatz, dann haben Sie den Kabelsalat. Geistesabwesend rückt der Mann zum Fenster. Endlich, denkt Hugo, kann ich meine Zeitung in Ruhe lesen. Aber wie wenn er es schon geahnt hätte, intoniert das Smartphone der Frau gegenüber eine elektronische Fassung von Mozarts "Alla Turca". Um die Mitreisenden und Mithörenden auch an der Stimme ihres Partners teilhaben zu lassen, hat sie dessen Stimme auf "laut" eingestellt. Zwar wird diese Stimme immer Mal wieder übertönt von Schüssen, die aus einem Tablet erschallen, welches ein etwa Fünfjähriger auf den Knien hat, dessen Mutter lauthals ins Smartphone schreit, dass er ihr am A… lecken könne. Dann auflegt, um sogleich eine andere Nummer zu wählen. Die Verbindung scheint nicht zu klappen, also schreit sie den Jungen an, er soll sich nicht so breit machen, packt aus einer Tragtasche einen Döner und beginnt den zu verschlingen. Hugo, nicht bereit zu den akustischen Immissionen auch noch olfaktorische hinzunehmen, nimmt seine Jacke mit dem abgerissenen Aufhänger, klemmt seine Zeitung unter den Arm und verlässt den Waggon. Im nächstvorderen Wagen fläzt auf den Sitzen eine Gruppe Jugendlicher, die heutzutage eher wieder öffentliche Verkehrsmittel benützen und gar nicht mehr so erpicht sind, mit 18 die Autofahrprüfung zu machen. Aber nicht, wie fälschlicherweise angenommen wird, aus ökologischen Gründen, sondern, weil man beim Autofahren keine WhatsApp schreiben und nicht surfen darf. Weiter geht Hugo zwischen aufs Smartphone starrenden Reisenden nach vorne zum Spielwaggon. Dort erwartet ihn Gelächter und Geschrei von kleinen Lebewesen, manchmal auch eine ermahnende Elternstimme. Er setzte sich auf einen leeren Platz, liest noch etwas in der Zeitung und döst vor sich hin, bis die Stimme über Lautsprecher sein Reiseziel bekanntgibt. Hugo kann einen Surfenden, der an der automatisch sich öffnenden Türe lehnt, im letzten Moment davor bewahren, nicht auf den Bahnsteig zu fallen. Dann steigt Hugo aus dem Zug. @Hans Suter

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