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Künstliche Intelligenz
Kevins Vater war schockiert über die schlechten Noten, die Kevin nach der sechsten Klasse zu Hause präsentiert hatte; damit war ein Übertritt ins Gymnasium nicht möglich. Trotz sogenannt bildungsnahem Elternhaus – wobei die Eltern ein Premierenabonnement des Opernhauses ihr Eigen nannten und die Mutter aufopferungsbereit ihren Sohn zum Nachhilfeunterricht chauffierte und abends wieder abholte. Dabei immer verbotenerweise an der Seestrasse auf dem Trottoir parkieren musste, wo ein SUV auch kaum Platz genug hat – schaffte der Sohn den erforderlichen Notendurchschnitt auch beim zweiten Anlauf nicht. Sogar in einer Privatschule irgendwo im Unterengadin – wo übrigens auch der Vater trotz einer Cannabisphase seine Matura erreicht hatte – waren Kevins schulische Leistungen ungenügend; er war, wie es schien, einfach zu dumm. Ihn in eine Berufslehre zu stecken, kam für das kader- und kulturbewusste Elternhaus nicht in Frage, obwohl Kevin eigentlich handwerklich begabt war und im Bastelraum ständig an elektrischen und elektronischen Experimenten bastelte. Was würden denn die Schelkers oder Bärs nebenan denken, wenn man auf die Frage: «Was studiert später ihr Sohn?», sagen müsste: «Elektrik..., äh Elektroingenieur».
Die Eltern waren verzweifelt. Zu kaufen war ein Maturitätsabschluss bis anhin noch nicht, dazu hatte sich dieser illiberale Staat noch nicht entschlossen. Noch immer galt ein staatlicher Lehrplan. Im Gesundheitswesen hatte man es doch auch geschafft, dieses zu privatisieren; man besass da unter anderen auch ein paar Aktien.
Der Vater hatte schon einiges über künstliche Intelligenz gehört und gelesen und überlegte sich, ob es nicht möglich wäre, dem Sohn ein Medikament zu verabreichen, das intelligenzsteigernde Wirkung hat. Oder ob man sogar einen mit künstlicher Intelligenz gespeicherten Chip im Präfrontalcortex implantieren könnte. Mit der künstlichen Befruchtung hatte es ja schliesslich auch geklappt. Es war ja auch möglich gewesen, Eier der Ehefrau vor zwanzig Jahren zu freezen, um sie nach vielen Jahren samt dem Samen des Gatten einer indischen Leihmutter einzupflanzen. Obwohl Samen und Eier von den leiblichen Eltern stammten, hatte der Vater den Verdacht, dass möglicherweise eine Verwechslung der Eier oder des Samens stattgefunden hatte oder Gene dieser Leihmutter aus der Gebärmutter auf den Intelligenzquotienten dieses Jungen einen Einfluss gehabt haben könnten. Die Frau kam aus einem eher bildungsfernen Milieu vermerkte der leibliche Vater, wobei er anfügte, dass er damit die Austrag- und Gebärfähigkeit dieser Frau in keiner Weise in Frage stellen möchte. Man würde voraussichtlich mit diesem Makel eines etwas minderbemittelten Sohnes leben müssen. Rückgaberecht nach so vielen Jahren nicht möglich. Vielleicht diente es sogar dem Image, so einen Exoten in der Familie zu haben.
Dass ausgerechnet die Putzfrau, die zweimal pro Woche für Sauberkeit sorgte, eine Tochter hatte, die ohne künstliche Intelligenz hochbegabt war, war auch kein einfaches Schicksal für deren Mutter und den Arbeitgeber. @Hans Suter

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