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1968
Thomas wollte heute nochmals mit Uschi pennen. Er hatte schon mal mit ihr, nach der Welthunger-Demo. Erst wollte sie zwar nicht. Thomas konnte das damals gar nicht richtig verstehen. Er fragte sie, ob sie vielleicht irgendwelche Blockaden oder Probleme habe, ob vielleicht der Alte mal...? Denn wenn sie ja keine habe, würde sie sich doch gleich hinlegen und nicht so kalt und herzlos sein. Er habe auch nichts dagegen, wenn sie zuerst diskutieren wolle. Normalerweise würde man/frau das zwar nachher machen. Ob sie das letzte Mal nachher nicht diskutiert hätten, wollte Thomas von Uschi wissen? Sie könne sich nur erinnern, das er gefragt habe, ob er gut gewesen sei aber eine Antwort habe er nicht abgewartet und wenn er es jetzt noch wissen wolle, sie habe keinen Orgas…Wie auch, unterbrach Thomas Uschi, wenn sie immer noch in solchen angelernten Geschlechterrollen und Klischees verhaftet sei, da könne ja keine orgiastische Befreiung stattfinden. Er gebe zu, dass es ja eigentlich eine bürgerliche Scheisse sei, dass er noch ein zweites Mal mit der Gleichen pennen wolle. Er sei nach der Welthunger-Demo irgendwie allzu bekifft gewesen und ausser an Onkel Ho, die Farbbeutel und die Wasserwerfer könne er sich kaum mehr an etwas erinnern. Somit könne er ausnahmsweise ihr schon ein zweites Mal beiwohnen, ohne gleich zum Establishment zu gehören.
Heute also hatten sie an einem längeren Sit-In teilgenommen, vor den spätkapitalistischen Bankenpalästen am Paradeplatz. Danach fragte Thomas Uschi, kommst du in meine WG oder gehen wir in deine. Uschi gestand leicht errötend, dass sie noch bei den Alten wohne. «Das darf ja wohl nicht wahr sein», meinte Thomas, «wie hältst du diese familiären Besitz-verhältnisse aus. Jetzt sag nur noch, dass dein biologischer Vorfahre ein Banker ist». Er war kein Banker, sondern Import-Export Kaufmann. «Also direkt beteiligt bei der Ausbeutung der dritten Welt», bemerkte Thomas lakonisch. «Dann würde ich sagen, gehen wir zu mir, das heisst zu uns, in die WG».
Sie kamen dann in der WG an, wo Thomas wohnte. Am Küchentisch sassen weitere Bewohner der Kommune, von denen sie kurz begrüsst wurden. Im Zimmer wollte Thomas gleich zur Sache kommen, aber Uschi hatte keine Lust. Weshalb sie denn überhaupt mitgekommen sei, wollte Thomas wissen. Ob das nicht auch zum neuen Geschlechterverständnis gehöre, dass Frauen wenn sie die Briefmarkensammlung der Männer gesehen hätten, nicht unbedingt auch noch gevögelt werden wollten, bemerkte Uschi. Sicher, meinte Thomas, aber da er keine Briefmarkensammlung habe…Die Bemerkung fand Uschi dann doch so witzig, dass sie sich nochmals flachlegen liess. Aber kurz vor Thomas's Höhepunkt platzte doch Rudi ins Zimmer, er hatte sich in der Türe geirrt und der Beischlaf fand ein abruptes Ende. Vor lauter Frust soff Thomas eine halbe Flasche Wodka leer und realisierte erst am andern Morgen, dass es Uschi die ganze Nacht mit Rudi getrieben hatte und zwar im Bett von Rudis grossem Bruder, der an einem Solidaritätswochenende in Berlin teilgenommen hatte. Rudi war eigentlich nur auf Besuch hier gewesen und gehörte gar nicht zur WG. Er war auch in keinster Weise ein links-aktiver Student. Er stand kurz vor der Handelsmatur.
Wie sie sich mit so einem Geschäftemacher nur habe einlassen können, wollte Thomas anderntags ausgenüchtert von Uschi wissen. Dass sie mit andern bumse, fände er richtig aber bitte mit dem politischen Bewusstsein, dass wenn die Produktionsmittel einst verstaatlicht sein werden, es auch keine Eifersucht mehr gäbe. Rudi hätte ihr eben einfach gefallen, meinte Uschi. Ob das der einzige Grund sei, wollte Thomas wissen. Ja, eigentlich schon und ausserdem habe sie bei ihm multiple Orgasmen gehabt. Das sei ja noch schlimmer, dozierte Thomas. Solange sie bei solchen Typen einen Orgasmus habe, könne er mit ihr keine glaubwürdigen Gespräche über die Ausbeutung der dritten Welt mehr führen. Das habe sie mit Rudi auch nicht. Der wollte auch nicht wissen, ob er gut gewesen sei. So, so, meinte Thomas, das sei typisch für diese reaktionären Ignoranten. @Hans Suter

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